Südkorea schwenkt andächtig das satte Rot in seinem Weinglas, Kanada plaudert mit Singapur, die Schweiz lässt Österreich von ihrer Vorspeise naschen und Japan gratuliert Puerto Rico nachträglich zum Geburtstag während Finnland großzügig frischen Parmesan über Teller voller Pasta hobelt. Das erste gemeinsame Essen mit meinen Uni-Kollegen, bei dem ich vor knapp zwei Wochen jeden Bissen und Schluck genossen habe, war zweifelsohne einzigartig – das einzige sollte es allerdings nicht bleiben. Bei 27 Mitstudenten aus 17 verschiedenen Ländern macht das Esskultur- und Kommunikations-Studium zwischen zwei Vorlesungen keine Mittagspause. Statt Wurstbroten und Nutellasemmeln wechseln Ratatouille und Kimchi die wissenshungrigen Besitzer, wird am Schulweg über Reiskocher und Pastamaschinen diskutiert und nach Feierabend Nachhilfe in exotischen Lebensmitteln und deren eigentümlichen Bezeichnungen gegeben.
Als wir Carlo Petrini in der Einführungs-Vorlesung die Frage nach seiner Leibspeise stellen, antwortet der interview-geübte Gründer von Slow Food diplomatisch: „Neugier“. Gut, vielleicht keine richtige Antwort – womöglich aber auch die falsche Frage. Warum sein Lieblingsessen an eine einzelne Zutat ketten, es an eine bestimmte Art der Zubereitung fesseln oder an die Erinnerung an etwas dazumal Verspeistes? Wozu sich überhaupt auf ein Lieblingsessen festlegen, wenn man in jedem Land, jeder Region, jedem Terroir ein anderes haben kann. Frei nach Brillat-Savarin: „Sag mir, was du isst, und ich sage dir, wo du bist“. Traditionelle Speisen sprechen nicht nur Bände über die Geschichte eines Landes, sondern auch über seine Kultur und vor allem die Menschen, die darin leben. Es muss sich also keiner genieren, wenn er auf Reisen Restaurants und Manufakturen wie Sehenswürdigkeiten abklappert, die mitgebrachten Souvenirs ihren eigentlichen Nutzen verfehlen, weil sie statt im Regal im eigenen Magen landen und man sich in der fremden Sprache zwar nicht nach dem Weg, dafür aber nach der traditionellen Zubereitung der soeben erstandenen Spezialität erkundigen kann. Der italienische Journalist und Autor Italo Calvino geht sogar soweit zu behaupten, dass heutzutage, wo man alles, was es zu sehen gibt, von seinem Sessel aus im Fernsehen betrachten kann, die einzig bedeutsame Art zu Reisen ist, das besuchte Land inklusive seiner Fauna, Flora und Kultur zu verdauen.
In den letzten Tagen habe ich neben Apulien samt seinen Schätzen Burrata und Orecchiette, den Piemont mit Salsiccia und Dolcetto, Finnland anhand von gebackenem Leipäjuusto-Käse und Korelian-Pie sowie Schottland, repräsentiert von selbstgebrautem Bier, verdaut – von der Truthahn-Schar im amerikanischen Stil zu Thanksgiving und der unter der professionellen Anleitung meiner Kollegen hausgemachten Pasta zehre ich noch heute. Wenn das so weiter geht, können wir in einem Jahr, nach sämtlichen Studienreisen getrost behaupten, wir hätten die Weisheit mit dem Löffel gegessen.
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